Erste Überprüfungsfahrt mit meiner L17 Schülerin. Nach X gefahrenen Kilometern als Beifahrerin die eigentlich Lehrerin sein sollte, aber ein einziges Nervenbündel ist, weil sie immer schon eine schlechte Beifahrerin gewesen ist, steige ich Schweißgebadet an diesem Sommerlichen Frühlingstag am Tristacher See aus dem Auto. Joschua sitzt mit hochrotem Gesicht neben dem Fahrlehrer auf der Rückbank und scheint keine Angst zu haben, als Joanna in die nächste Kurve hineinrast und ich mir das Schreien einfach nicht verkneifen kann.
Mit einem Sack voll Kebab gehen wir am Ufer des Tristacher See`s entlang. Joschua will auf die andere Seite, weil da vorne wo die Sonne hinscheint und ich gerne bleiben wollte, sitzen ihm zu viele Leute. Ein Vogel im braunen Federkleid, springt aus dem Schilf und flüchtet Richtung Wald. Drei alte Damen fragen: "Was ist denn das für ein Vogel gewesen?" Eigentlich nicht so schlecht in der Bestimmung von wilden Tieren, kann ich nur rätseln und tippe auf einen weiblichen Fasan. Joschua, der sich in der Ornithologie auch gut auskennt, meint auch, dass es dies sein könnte, wenngleich er sich fragt, wo die herkommen sollte. Gibt es die in solchen Gebieten? Keine Ahnung.
Wir gehen über das Gelände des Campingplatzes, wo in zwei Monaten alles wieder mit Zelten und Wohnwägen voll ist und sich halbnackige Menschen in der Sonne ahlen. Joschuas Ziel, auf die andere Seite des Sees, weg von den Leuten. Er will Muscheln suchen und die hat er im letzten Sommer mit seinem Freund zu Hauf im See gefunden. Ein Zaun, der gleich hoch ist wie ich klein, stoppt uns. Joschua will drüber klettern, eh klar, an seine alte genervte hungrige Mama denkt er nicht. Noch dazu verläuft am oberen Rand des Zaunes ein Stacheldraht und ich trage einen langen schwarzen Rock. Böse fordere ich meinen vegetarischen Kebab ein und will zurück zum Auto. Doch mein Sohn bockt. Will auf die andere Seite des Zaunes, unten durch oder oben drüber. Der will immer mit dem Kopf durch die Wand und ich will endlich was zum Essen und mal meine Ruh. 4 Stunden neben meiner Autofahrenden Tochter sind doch auch mal genug, jetzt kann ich mit dem auch noch streiten, weil der auf die andere Seite des Zaunes will und Muscheln im See suchen. Joanna unsere Diplomatin sucht und findet mit wenigen Rund-um-Blicken einen Ausgang und wir drehen uns durch das Freibad-Gestell und sind auf der anderen Seite des Zaunes und nach einigen Metern auch auf der anderen Seite des Sees. Die Buchen entfalten gerade hellgrün ihre zarten Blätter. Ein Weg mit dem Wurzelgeflecht der Bäume. Und da ein Baum, dessen Wurzel mich wie ein Sitz einlädt nieder zu sitzen, keinen Schritt mehr weiter zu gehen. Die Kinder sind mit meiner Platzauswahl auch zufrieden.
Wir packen unsere Kebabs aus. Ich bin eine vegetarische Bäuerin und liebe vegetarischen Kebab. Den würde ich mir auch als Hochzeitsessen wünschen, wenn ich nochmal heiraten würde. Aber lieber kauf ich mir einen vegetarischen Kebab bei meinen Lienzausflügen. Noch nicht mal den letzten Bissen ganz geschluckt, sind meine Kinder schon ausgezogen und waten in den See hinein. Arschkalt. "Da ist vor ein paar Tagen erst das letzte Eis geschmolzen", meint der Fahrlehrer. Doch Joschua will Muscheln suchen und Joanna meint: "Wenn ich schwimme, dann musst du auch schwimmen. Das ist unter Geschwistern so!" "Und wenn i absauf?" "Dann rett i di!" "Und wenn wir beide absaufen rettet uns die Mama." Eh klar. Und ich hab nicht mal ein Handy dabei.
Joschua findet zwar keine Muschel, aber einen kleinen Krebs. Ich verlasse meinen "Baum", einen Babykrebs muss ich auch sehen. Sieht ziemlich leblos aus auf Joschuas Hand. "Der stellt sich nur tot, seine Augenreflexe gehen, der lebt!"
Ich soll die Trinkflasche holen, damit wir ihn mit heim nehmen können. Oder lebt er doch nicht mehr?
Joanna singt dem Charly, wie sie ihn sofort getauft haben ein Lied vor. Damit er doch wieder lebedig wird und mit in den Teich nach Heiligenblut darf. Doch erst einmal schwimmen. "Wenn mei Unterhose nass ist, dann schwimmen wir!" Minuten später schwimmt sie und schwimmt am Ufer entlang ihrem Muschel suchendem Bruder entgegen. Der muss jetzt auch schwimmen, weil das ist bei Geschwistern so. Der "Charly" wird erst mal zwischen gelagert.
Joschua schreit und grillt bei jedem Schwimmzug, so kalt ist das Wasser. Gefühlte Minus 3 Grad. Vom anderen Ufer schrillt ein Pfiff. Die denken natürlich, dass da jemand in Todesnot ist. So hört sich das Geschrei ja auch an. Ich winke hinüber: "Alles gut". Da steigen meine Frühlingsschwimmer an Land. "So kalt wie in der Möllschlucht ist es aber nicht", meinen sie. Ach, wäre ich gerne mit meinen Kindern ins Wasser gegangen. Doch ich muss an mein Kreuz denken und an die Erstkommunionkinder die doch eine Fotografin brauchen. Darum muss ich auf diesen Spaß verzichten und der Vernunft den Vorrang geben. Dieser jugendliche Übermut, diese ungebremste Lebenskraft ist nun einmal dem jüngeren Alter vorbehalten. Sie ziehen ihre spärlichen Kleider wieder an. Aber Joschua muss doch noch einmal nach dem Charly sehen und weil er ihn nicht allein findet, muss ich helfen ihn zu suchen. Wieder gehen wir am Seeufer entlang und finden tatsächlich den kleinen Krebs. Doch jetzt sieht auch Joschua ein, dass der wohl wirklich tot ist und so darf er in seinem Gewässer zurück bleiben.
Joanna fährt heim. Sie muss ja Kilometer sammeln.
Wahrlich, es gibt nichts Faszinierenderes als einen wirklich lebendigen Menschen, der nicht irgendwen oder irgendwas liebt, sondern das Leben selbst.
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