Der Mattiswald und die Graugnome

Jahr für Jahr rufen, brüllen, grillen, jubilieren wir in unserem Mattiswald unseren Frühlingsschrei hinaus, wie es auch die Ronja Räubertochter bei Astrid Lindgren in ihrem Mattiswald tat. 

Jahr für Jahr fasziniert uns das Schauspiel der Frösche und Kröten, die da zum Kachelmoor wandern, um sich zu paaren, um ihren Laich abzulegen.

Viele paaren sich schon auf dem Weg zum See, in Pfützen oder in manchem Jahr auf den Schneewegen. 

Joschua erbarmt sich der armen Froschfrau, die da den Froschmann so weit tragen muss und er trägt Froschpaar für Froschpaar in seinen kleinen Batschhändchen zum Wasser. 

Früher, wie Joschua noch ein bisschen kleiner war, war das nicht so, da sprang er in wilder Froschjagd durch den Auwald, fällt dabei mit dem Gesicht mitten in die Brennessel hinein, doch auf die Idee, man könnte die Frösche auslassen um die juckenden Blasen zu kratzen kommt er nicht. "Bitte, kratz mi!" bettelt er mich an, was ich natürlich nicht tu, weil ich doch will, dass er die armen Grasfrösche endlich frei lässt. Erbärmlich hängen die zwei Frösche in Joschuas Händen, die sich wie Schraubstöcke um die Froschbäuche quetschen.

Die Viecher glotzen mich ganz entsetzt und auch Hilfesuchend an. Doch wie sollte ich ihnen helfen?

Weil ihn die Brennesselplatterlen sosehr jucken, muss er die Viecher endlich los werden um sich kratzen zu können. 

Er hebt die Froschmäuler zusammen, schreit in die Runde: "Schaut`s die lieben sich!" und klatscht ihre Köpfe zusammen. Ein Gruselschauer rinnt mir über den Rücken. "Dich wird man noch wegen Tierquälerei ins Gefängnis werfen!" drohe ich meinem kleinen Bruder und setze noch obendrauf: "Und da gehörst du auch hin!"

Im hohen Bogen wirft er die Frösche in den Teich, aber nicht um sich endlich die Brennesselplatterlen zu kratzen, sondern um mich zu erwischen. Ich flüchte, weiß ich doch, wenn der mich erwischt, passiert mir das gleiche wie den armen Fröschen. 

Wenige Wochen später sind Schwärme von Qualquappen unterwegs und die Entenmama hat wieder winzig kleine Entenküken ausgebrütet und wir besuchen die Enten und Qualquappen und später im Sommer suchen wir Pilze in unserem Mattiswald und wandern hinauf zum Wasserfall.

Selbst im Winter gehen wir in den Mattiswald. Wenn der erste Schnee kommt, dann rütteln und schütteln wir den Bäumen die schwere Schneelast von den Ästen. Ein lustiges "Bäumchen-rüttel-dich-und-schüttel-dich-Spiel". 

Am Fuße eines großen Baumes, den ich auch rütteln will, entdecke ich eine Höhle und viele angefressene Zapfen liegen da herum. Mama erzählt mir, dass da die Graugnome wohnen. Gibt es die wirklich?

Ich dachte, die gibt es nur bei der echten Ronja, im echten Mattiswald.

Neugierig geworden knie ich mich nieder und rufe in die Baumhöhle hinein: "Hallo Graugnome, keamts ause!"

Eine Graugnomen-Kinderstimme antwortet mir: "Wer schreit denn da so fürchterlich in unserem Wald? Wissen die den nicht, dass Winter-Weihnachtsruhe im Wald ist und kleine Graugnomenkinder Angst bekommen!?"

"War das wirklich ein Graugnomenkind?" fragend schaue ich meine Mama an, die nur mit den Schultern zuckt.  Also, die weiß auch nicht ob es Graugnome gibt. Aber sie hört ebenso gespannt in die Höhle hinein wie ich.

Nach so einer Rüge eines Graugnomenkindes sage ich leise und höflich in den Höhleneingang hinein: "Hey kleines Graugnomenkind, komm heraus, ich bin ein Menschenkind und würde gerne deine Freundin sein."

Die Graugnomenmutter ermuntert ihr Kind: "Geh nur hinaus und schau dir dieses Menschenkind einmal an! Du kennst sie ja alle! Es sind die Kinder, die so oft in unserem Wald sind und die in jedem Frühling ihren Frühlingsjubelschrei in die Welt hinein jubilieren und die auch uns mit ihrer Frühlingsfreude anstecken.

Im Sommer kommen sie, um zu sehen, ob aus den Qualquappen schon kleine Frösche geworden sind. Nicht mehr viele Kinder kommen in den Wald, weißt du!" Mit angehaltenem Atem höre ich zu, wie die Graugnomenmama mit ihrem Kind spricht. "Warum kommen die Menschenkinder nicht mehr in den Wald?" will das Graugnomenkind von seiner Mama wissen. "Ach weißt du, die sitzen in ihren engen stinkenden Höhlen und glotzen in einen Kasten hinein, der flimmert und lärmt. Oder sie sitzen vor einem anderen Kasten und müssen ganz schnell an vielen Tasten gleichzeitig drücken und werden dabei immer nervöser und aggressiver. Und wenn sie gerade nicht mit ihren komischen Kasten beschäftigt sind, dann eilen sie vom Musikunterricht zur Tanzstunde und zum Turnen, zur Jungschar oder Förderstunde oder zu einem anderen furchtbar wichtigen Termin, weil ihre Eltern meinen, das ist dringend notwendig für ihre spätere Entwicklung und ihr späteres Leben. Und weißt du was, mein süßes Graugnomenkind, manche von diesen Menscheneltern haben auch Angst ihre Kinder könnten bei uns im Wald  und in der Natur Zecken aufklauben oder den Fuchsbandwurm bekommen oder sonst eine grausliche Krankheit." Ich schau meine Mama an, doch da fragt das Graugnomenkind verständnislos seine Mama: "Arme Menschenkinder! Weshalb müssen sie das denn tun? Weshalb haben sie denn keine Zeit mehr um in den Wald zu gehen?"

Traurig antwortet die Graugnomenmutter ihrem Graugnomenkind: "Ach weißt du, sie haben einfach keine Zeit mehr um in den Wald zu gehen und an Graugnome, Waldgeister und Elfen glauben sie schon lange nicht mehr."

"Nein Mama, ich trau mich trotzdem nicht hinaus zu diesem Menschenkind. Was wenn es mich fangen will, um mich den Kindern zu zeigen, die nicht mehr an mich glauben?"

"Nein, mein kleines Graugnomenkind, das glaube ich nicht. Dieses Kind ist ein Kind mit Ehrfurcht vor jedem Leben und sei es auch noch so klein! Aber du  musst nicht, wenn du Angst hast. Vielleicht dann im nächsten Frühling."

Ich lege der Graugnomenfamilie ganz viele Zapfen vor den Höhleneingang, damit sie sich nicht so plagen müssen und jedes Mal bedanken sie sich aus der Höhle heraus. 

Joschua hat bemerkt, dass ich schon so lange vor der Baumhöhle sitze und will wissen was da los ist. Energisch greift er tief in die Baumhöhle hinein. Der Graugnomenbub schreit ganz entsetzt: "Hilfe, Hilfe Mama, schau, eine riesige Hand, die will mich fangen. Hilfe, Hilfe, Hilfe. Ich glaub, das ist gar kein nettes Kind. Da geh ich nicht hinaus, der zerquetscht mich in seinen Pranken, wie er es mit den Fröschen getan hat."

Joschua zweifelt keine Sekunde daran, dass es Graugnome gibt und sein einziges Ziel ist es, einen von ihnen zu erwischen. All mein Vertrauen, welches die Graugnomenmutter in mich hatte, hat mit einem Schlag mein jägerischer kleiner Bruder zunichte gemacht. Das nächste Mal gehe ich allein in den Wald. Vielleicht traut sich das Graugnomenkind dann zu mir heraus.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0