Die Hollaleitisch Mandeln

Manchmal setze ich mich zu einem Hollaleitisch Mandel auf den Schoß und Mama setzt sich zu uns und erzählt uns die Geschichte. Da gibt es nämlich eine Sage von den Hollaleitisch Mandeln, die ganz eng mit unserem Tal verbunden ist. Schade, dass sich die Hollaleitsch Mandeln soweit in die Berghöhlen zurück gezogen haben. Mama erklärt uns, dass man Hollaleitisch auch mit "Holder Leute Tisch" übersetzen kann. 

 

Im oberen Mölltal führte einst ein Weg in das Innere des Berges, in die Heimat der Hollaleitisch Mandeln. Manchmal konnte man sie da zu Gesicht bekommen. Kleine Männchen mit roten Röckchen und blauen Hosen und einem schwarzen breitkrempigen Hut am Kopf. Im Frühling erschienen sie und riefen den Talbewohnern zu: "Haut´s und baut´s, es ist Zeit!"

Wer diesem Rat folgte und sein Feld sodann pflügte und die Saat ausbrachte, der konnte eine reiche Ernte einbringen. Wusste einer der Bauern vor lauter Arbeit keinen Rat mehr, so halfen ihm die Männchen heimlich. Als Lohn brachte ihnen die Bäuerin ein einfaches Mahl in die Nähe ihres Arbeitsplatzes, das bald verzehrt war.

Neugierige Leute konnten die Männchen aber nicht leiden. Fühlten sie sich beobachtet, ließen sie sich vor den Neugierigen nie wieder blicken. Viele Leute begannen jedoch den Fleiß ihrer kleinen Helfer auszunützen. Sie faulenzten dahin und ließen die Männchen arbeiten. Bald aber wurde es den Männchen zu dumm und sie verschwanden mit dem Ruf: "Haut´s und baut´s, wir kommen nimma!"

In dieser Sage der Hollaleitisch Mandeln begegnet uns mystischer Fruchtbarkeitszauber vorchristlicher Jahrhunderte und das leise Raunen der in die Felswände verbannten alten Gottheiten. 

Und weil bei den zwei lebensgroßen Hollaleitisch Mandeln, in dessen Schoß ich mich manchmal setze, auch ein Holunderbusch wächst und in diesem Wort derselbe Wortstamm "Holder" hold, wohlgesonnen steckt, betteln wir so lange unsere Mama an, bis sie uns noch eine Geschichte erzählt. Die wunderschöne Geschichte der Göttin Freya: 

Vor über zweitausend Jahren lebte ein Töpfer mit seiner Frau und seinen drei Kindern auf einem kleinen Hof am Rande eines Dorfes. Der Töpfer hieß Sebastian und seine Frau hieß Johanna. Da Sebastian seine Familie nicht allein vom Handel ernähren konnte, hielten sie sich auch noch zwei Kühe und zwei Schweine. 

Als Sebastian aufs Feld ging, sah er, wie ein Hund von etwa zwanzig Krähen angegriffen wurde. Der Hund tat ihm leid. So nahm er einen Knüppel und vertrieb die Krähen. Beim Umherschleudern des Knüppels traf er eine Krähe am Kopf. Sie fiel tot zu Boden. Die anderen Krähen suchten laut krächzend das Weite. 

Sebastian sah vor sich einen blutüberströmten Hund, der vor Schmerzen wimmerte. Der Mann nahm den Hund mit nach Hause, der keine Hilfe zu sein schien. Die Kinder waren allerdings begeistert. Sie sparten sich vom eigenen Essen ein paar Bissen ab und gaben sie dem Hund. Als das Tier wieder gesund war, spielten sie gerne mit ihm. 

Nach einem Monat kamen an einem Abend die Krähen, setzten sich auf das Dach des Hauses und machten einen höllischen Lärm. Der Hund verkroch sich in die hinterste Ecke der Küche. Die Kinder liefen aus dem Haus und warfen Steine nach den schwarzen Vögeln, sodass diese laut kreischend die Flucht ergriffen. 

Am Tag darauf wurde das jüngste Kind krank. Es lag mit hohem Fieber im Bett und fantasierte. Johanna versuchte das Fieber mit kalten Kompressen zu senken. Aber es war umsonst. Am nächsten Tag bekamen auch die anderen Kinder Fieber. Das jüngste Kind war schon völlig geschwächt und lag mit leerem Blick auf dem Lager. Sebastian und Johanna holten den Arzt aus dem Dorf. Der weise Mann machte die bösen Geister für die Krankheit der Kinder verantwortlich. Er sah eine Verbindung zwischen dem Hund, den Krähen und den Geistern. Erst wenn der Hund wieder aus dem Haus sei, könnten die Kinder gesund werden, hieß es.

Der Alte trug Sebastian auf, den Hund in den Wald zu bringen und dort auszusetzen.

Verzweifelt nahm Sebastian den Hund mit in den tiefen Wald. Auf einer Lichtung band er ihn an und ließ ihn zurück. 

Der Hund sah ihn mit traurigen Augen ängstlich an, denn er hörte schon wieder das Krächzen der schwarzen Vögel. Sebastian brachte es nicht übers Herz, den Hund einfach so zu verlassen. Er dachte an die Krähen und wusste, dass dies das Todesurteil für den Hund wäre. 

So nahm er ihn wieder mit nach Hause. Als er den Wald gerade verlassen wollte, trat ihm unverhofft eine alte Frau in den Weg. "Wer bist du Alte?" fragte Sebastian erschrocken. Sie sagte: "Ich bin Freya. Ich habe gesehen, dass du ein gutherziger Mensch bist, denn du opferst das Leben eines Hundes nicht den bösen Geistern."

Sebastian sagte verzweifelt: "Was nutzt mir mein weiches Herz, wenn meine Kinder sterben werden." 

Die Alte gab ihm einen kleinen Holderstrauch und sagte: "Pflanze diesen Strauch auf deinem Hof und bereite aus den Blüten für deine Kinder einen Tee." 

Mit diesen Worten verschwand Freya genauso unverhofft, wie sie gekommen war. 

Sebastian tat genau das, was Freya ihm aufgetragen hatte. Schon am nächsten Tag trug der Strauch weiße Doldenblüten. Johanna pflückte zwei Blüten und brühte einen Tee auf. Kurz nachdem die Kinder den Tee getrunken hatten, sank das Fieber. Die drei Kinder erholten sich und sprangen schon am übernächsten Tag wieder mit dem Hund durch den Garten und tanzten singend um den Holderstrauch. 

Sebastian und Johanna pflegten ihren Holderstrauch. Dieser dankte es ihnen mit heilenden Blüten im Frühjahr und Gesundheitsstärkenden Beeren im Herbst. Seit dieser Zeit wurde der Hof weder von Krähen noch von bösen Geistern heimgesucht. 

Ihre guten Erfahrungen erzählten Sebastian und Johanna  anderen Dorfbewohnern. Damit nicht nur ihr Hof, sondern das ganze Dorf von bösen Geistern geschützt sei, pflanzten sie an jedem Gehöft einen Holundersteckling. 

Von da an wurde das Pflanzen eines Holunderstecklings am Hof zu einer Tradition, die viele Jahrhunderte gepflegt wurde. Und im Sommer tanzen noch heute die Kinder und singen: "Ringel Ringel Reihe, wir sind der Kinder dreie, wir sitzen unterm Hollerbusch und machen alle husch husch husch." 

 

Wir sind zwar der Kinder viere, doch unsere Mama hat auch einen Holundersteckling am Hof gepflanzt und wir kennen dieses Lied und lieben diese Geschichte der Göttin Freya und dem Sebastian, der den Hund nicht ausgesetzt hat. 

 

Und irgendwann werden auch die Hollaleitisch Mandeln wieder aus ihrer tiefen Berghöhle hervorkommen und  uns zurufen: "Haut´s und baut´s, es ist Zeit!" 

Und wenn wir es wirklich nicht mehr schaffen, dann helfen sie uns vielleicht doch. Nur neugierig dürfen wir nicht sein und faul natürlich auch nicht, weil das mögen die Hollaleitisch Mandeln überhaupt nicht. 

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Kommentare: 2
  • #1

    Rosalinde Seiwald (Dienstag, 12 Mai 2020 11:15)

    Da hast du dir aber mit deinen Blogs viel Mühe angetan. Es sind wunderschöne Geschichten, die du da geschrieben hast. Meine Mutter hat immer gesagt, bei einem Hollerbuschen ist alles heilig und heilsam, von der Wurzel bis zur Blüte und Beere. Es sollte bei jedem Haus ein solcher sein. Rund um unser Haus sind einige davon. Jetzt, wenn ich beim täglichen Morgenturnen aus dem Badfenster blicke, sehe ich, wie die Holundersträuche schon ihr makelloses grünes Blätterkleid angezogen haben. Bald wird es die strahlend weißen Blüten mit ihrem herrlichen Duft dazu geben. Aus den Blütendolden mache ich mehrmals in dieser Zeit gebackene Hollerkiachln Ein wahrer Genuss! Später kommen dann die reifen Beeren, die zu Marmelade, Saft oder Hollersulze eingekocht werden.

  • #2

    Greti Armbruster (Montag, 21 Juni 2021 15:31)

    So eine schöne Geschichte. Ich werde versuchen einen Steckling von einem Hollerbusch zu bekommen. Ich grüsse Dich, Du Vielbegabte, ganz herzlich